Anfang:
In diesem Artikel geht es um Sexualität und die damit verbundenen Kontoversen. Es geht außerdem darum, wie Betroffene sich fühlen, wie die Eltern der Betroffenen damit umgehen und vor allem darum, dass es keine Norm gibt, da wir alle anders sind und dass ist gut so. Wir haben ein Interview mit unserer ehemaligen Schulsozialarbeiterin Frau Wilhelm geführt, da sie bereits mehrere Schüler, die zum Beispiel Angst hatten mit ihren Eltern zu sprechen, begleitet hat. Sie versucht ihnen dann so gut wie möglich zu helfen, Tipps zu geben und sie aufzubauen. Dabei geht es vor allem darum ihnen zu erklären, dass sie gut sind so wie sie sind, dass sie sich nicht verstecken müssen und keine Angst davor haben müssen, was andere davon halten könnten. Im Anhang sind verschiedene Anlaufstellen für Betroffene verlinkt.
Interview:
Gibt es Hintergründe dafür, dass manche Kinder eine Art Abwehrhaltung gegenüber zum Beispiel Pansexuellen haben?
Frau Wilhelm: Ich glaube, dass kleine Kinder erstmal gar keine Unterschiede kennen. Ich glaube, dass kleine Kinder erstmal ganz unvoreingenommen auf die Welt kommen. Das ist das besondere an Kindern. Sie empfinden alles, womit sie aufwachsen als normal. Wenn zum Beispiel ein Kind mit zwei Mamas auf, nimmt es das erstmal als normal wahr. Sie sind total unvoreingenommen und kennen keinen Unterschied zwischen Hautfarben, Religionen und der Herkunft. Sie könne in der Regel sogar ohne eine Sprache miteinander spielen. Kinder sind die einzigen, die es schaffen mit Mimik und Gestik miteinander zu kommunizieren. Der Einfluss von außen spielt eine sehr große Rolle. In erster Linie sind es die Eltern, die einen sehr großen Einfluss auf die Kinder und deren Entwicklung haben. Wenn Eltern also anfangen über Unterschiede zu sprechen, wie zum Beispiel, der ist ja ganz anders, der ist blöd oder der ist anders als wir, dann entsteht diese Abwehrhaltung. Hierbei kommt es darauf an, wie man das sagt. Man wie gesagt kann man sagen, der ist anders, der ist blöd. Oder man kann sagen, der ist anders als ich, aber genau das ist gut. Das prägt dann dementsprechend die Meinung der Kinder. Und dadurch wollen Kinder dann später, wenn sie älter werden, wenn sie und ihre Umwelt sich verändern, nicht anders sein. In der Regel möchte kein Mensch anders sein als andere, was eigentlich sehr traurig ist, weil es ja sehr schön wäre, wenn jeder sagen würde ich bin wie ich bin. Ist jemand zum Beispiel zu groß möchte er kleiner sein, ist jemand zu klein, möchte er größer sein. Also sind die Hintergründe vor allem Einflüsse von außen, wie die Eltern, Medien oder Veränderungen an sich, die man nicht gut findet und dann zu anderen gemein ist.
Unsere nächste Frage ist, ob es auch Dinge gibt, die wir hier in der Schule tun können, um die Akzeptanz zu fördern?
Frau Wilhelm: Ja. Ganz wichtig ist es, darüber zu reden. Deshalb machen wir auch in der 5. Klasse, also wenn die Schüler neu hier an der Schule sind, machen wir erstmal eine Kennenlernwoche. Dabei geht es erstmal darum unterschiedliche Dinge kennen zu lernen. Ich spiele zum Beispiel immer ein Spiel und frage dann, wer hat Geschwister, wer hat keine Geschwister. So sieht man ganz klar, wir sind anders. Und dann versuche ich zu erklären, wir sind unterschiedlich, aber wir so gut wie wir sind und wir sind trotzdem eine Gemeinschaft. Dann gibt es in der 6. Klasse einen Projekttag zum Thema Zusammenhalt. Und so baut sich das dann auf. Ich glaube auch, dass Lehrer viel dazu beitragen. Wenn man zum Beispiel unterbindet, wenn jemand anderen beleidigt und es dann Konsequenzen gibt, lernt derjenige daraus, dass das nicht okay war. Wenn zum Beispiel jemand eine rassistische Äußerung tätigt, gibt es dafür harte Konsequenzen. An der anderen Schule, an der ich arbeite, gibt es den Slogan, wer schlägt der geht. Und da halten sich alle dran, weil die Schüler wissen, dass es sonst die entsprechenden Konsequenzen. Hier gibt es ja auch Dinge, die man nicht duldet.
Nach unserem Empfinden ist die Ablehnung eher größer geworden. Haben Sie eine Idee, woran das vielleicht liegen könnte?
Frau Wilhelm: Meine Beobachtung ist, dass die Ablehnung vor vier Jahren eher war, weil das damals ganz neu war. Auch mir waren Bezeichnungen unbekannt. Zum Beispiel waren mir Homosexualität und Heterosexualität bekannt. Ich wusste auch, was zum Beispiel Transsexualität ist. Ich wusste aber nicht, was zum Beispiel Pansexualität ist. Oder was Quer ist. Das muss man alles neu erlernen. Es gab auch Lehrer die zum Beispiel gesagt haben,, Ein Schüler habt sich geöffnet und ist pansexuell. Und ich weiß nicht, was das ist“. Dann fängt man an zu recherchieren. Ich merke aber eher, dass Leute weniger Schwierigkeiten damit haben. Jetzt seid ihr aber in einem Alter, in dem sich Veränderungen stärker bewusst machen und wo keiner, wie gesagt, anders seien möchte. Und manche gehen dann diesen doofen Weg und sagen ,, anders sein ist Scheiße“.
Denken Sie eine bessere Aufklärung, auch hier an der Schule würde für mehr Akzeptanz sorgen?
Frau Wilhelm: Ich glaube, dass macht die Mischung. Wir sind ja in der Schule und gewisse Themen sollten angesprochen werden. Zum Beispiel Rassismus. Sexualität und Neigungen sind so eine Sache. Will man das eingehen oder will man das nicht eingehen? Hat meine eine Klasse, mit der man darüber reden kann oder eher nicht? Ich weiß, dass das in Biologie und in Religion thematisiert wird. Das hängt aber auch vom Lehrer und vom Lehrplan ab. Eigentlich unterrichten Lehrer ja nach Lehrplan. Es gibt aber auch Lehrer, die sagen, ich thematisiere das trotzdem, weil das wichtig ist. Ich finde, in der Schule sollte das Thema angesprochen werden, aber wenn ich weiß, ich habe in meiner Klasse sehr viele Querdenker, würde ich darüber sprechen, den Kindern aber nicht die Möglichkeit geben negativ darüber zu sprechen. Das ist sehr schwierig. Aber die Schule hat natürlich eine Bildungsauftrag und muss bestimmte Dinge ansprechen.
Uns würde noch interessieren, was wir Schüler tun können, wenn wir zum Beispiel mitbekommen das jemand schlecht behandelt wird, weil er sich zum Beispiel geoutet hat?
Frau Wilhelm: Das kommt immer auf die Situation an. Man sollte sich auf jeden Fall nicht selbst in Gefahr bringen. Wenn zum Beispiel jemand mit einem Messer bedroht wird, würde ich nicht sagen,, Schmeiß dich dazwischen“. Aber man sollte sich trauen, dagegen zu sprechen und zu sagen, dass ist ein unfaires Verhalten. Oder zu demjenigen der unfair behandelt wird nun sagen, dass man nicht gut findet, was die andere sagen und auch, dass derjenige gut so ist, wie er ist. Wichtig ist auch nicht mitzumachen. Man zum Beispiel auch zu einem Lehrer gehen und erzählen was passiert ist. Sich an andere Erwachsene zu wenden ist auch eine Möglichkeit. Vor allem ist es aber wichtig den Betroffenen zu stärken. Wenn man das nicht vor der Klasse tun möchte, kann man demjenigen auch eine Nachricht schreiben. Man kann zum Beispiel schreiben, dass man nicht gut findet, was die anderen sagen und dass es okay und gut ist, dass der Betroffene anders ist. Oft ist es nämlich so, dass die betroffenen denken, dass sie ganz alleine sind, und deshalb ist es sehr wichtig ihnen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind.
Was haben sie mitbekommen? Wenden sich andere Personen von der geouteten Person ab oder akzeptieren diese die Sexualität der geouteten Person?
Frau Wilhelm: Das ist hier an der Schule sehr unterschiedlich. Zum Beispiel gibt es Eltern, die ganz offensiv sagen, dass ihr Kind zum Beispiel transsexuell ist. Dann gibt es auch andere Kinder, die zu mir kommen und mir sagen, dass jemand deswegen fertig gemacht wird oder die Person selber kommt zu mir. Dann wir entweder direkt erzählt, dass andere Kinder gemein zu demjenigen sind, oder das kommt im Gespräch heraus. Manche wollen auch Hilfe, weil sie nicht wissen, wie man sich outet. Je nachdem wie bereit derjenige ist, kann ich ihn oder sie dann unterstützen.
Glauben Sie, dass viele sich nicht outen, weil sie nicht stark genug sind oder Angst haben, dass sie dadurch Freunde verlieren?
Frau Wilhelm: Ja. Ich glaube, dass es viele Menschen gibt, die das in sich haben, sich aber nicht outen, weil sie denken, dass das nicht normal wäre. Ich mag diesen Spruch: ,,Das ist nicht normal“ gar nicht, weil was ist denn schon normal? Nichts ist normal! Jeder ist unterschiedlich! Wir sind alle Menschen und trotzdem sind wir alle unterschiedlich. Was ist die Norm? Die gibt es nicht! Auch ein Mensch mit nur einem Arm ist ein Mensch und auch ein Mensch ohne Beine ist ein Mensch. Sich nicht zu outen, hängt aber auch damit zusammen, dass man, wenn man sich verändert, denkt, dass es schlecht ist anders zu seien, und dass man das deshalb nicht sagen darf. Ich glaube das es Entwicklungen im Leben gibt. Als Kind ist dir das egal, es nimmt die Gegebenheiten wie sie sind. Aber später, wenn du selbst Veränderungen spürst und nicht anders sein willst, entsteht ein ich kann das nicht sagen, ich darf das nicht sagen es ist ja anders. Ich habe auch Schülerinnen und Schüler, die zu mir kommen und sagen, ich weiß nicht, wie meine Eltern damit umgehen werden haben sie da Tipps. Und ich hatte mal eine Schülerin, die hat sich auch geoutet und die hat mir erzählt, also meinen Eltern ist das egal ob ich einen Mann oder eine Frau heirate oder ob ich überhaupt heirate. Ich dachte mir da: krass das habe ich bisher von niemandem so offen gehört. Dann gibt es wiederum Menschen, die zu mir kommen und sagen, meine Mutter hat sich letztens über eine lesbische Frau lustig gemacht, aber ich bin auch lesbisch. Aber oft, wenn Eltern merken das ist auch bei meinem Kind so, ändert sich die Meinung, da muss man sich trauen, aber das ist ein langer Prozess.
Kommen viele Kinder zu ihnen oder merken sie, wenn die Kinder Probleme haben, dass sie sich verstecken?
Frau Wilhelm: Unterschiedlich. Über ,,Probleme“ redet ja keiner gerne und manchmal kommen Kinder und reden irgendeinen Blödsinn. Und erst bei der dritten oder vierten Sitzung sagen, trauen die sich dann zu sagen, warum sie zu mir gekommen sind.
Fazit:
Zum Schluss wollen wir uns bei Frau Wilhelm für die aufschlussreichen Informationen bedanken und sagen, dass jeder egal ob groß oder klein, Junge oder Mädchen, transsexuell, bisexuell oder mit anderen Sexualitäten, gut so ist wie er, sie oder es ist. Und wenn ihr irgendjemanden kennt, der sich zum Beispiel geoutet hat und ihr seht, dass derjenige deswegen runter gemacht wird, bitten wir euch, dass ihr diesen Personen helft. Ihr seid gut wie ihr seid und jeder ist etwas Besonderes. Wir hoffen, dass wir einen Einblick geben konnten, ihr euch so gut findet wie ihr seid und eure Mitmenschen so akzeptiert, wie sie sind.
Solltest Du von sexualisierter Gewalt betroffen sein, zögere nicht, dir sofortige Hilfe zu suchen.
Du kannst dich jederzeit anonym an die Hotline für Betroffene Sexualisierter Gewalt unter 0800 22 55 530 wenden.
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Bitte beachte: Falls Du, oder jemand anderes sich in unmittelbarer Gefahr befinden, zögere nicht und rufe unbedingt den Notruf 110.
DU BIST NICHT ALLEIN!
Das Interview wurde von Fiona und Hannah Otto geführt und geschrieben.