Die zehnte Stufe erhielt am 23.01 besonderen Besuch. Roland Schreyer, ein Zeitzeuge aus der DDR besuchte das THG und erzählte über sein Leben in der DDR. Als Höhepunkt berichtete er über seine spektakuläre Flucht durch die Kanalisation aus der DDR in die BRD.

Roland Schreyer kommt ursprünglich aus der DDR und hat dort die ersten 33 Jahre seines Lebens verbracht. Inzwischen lebt er seit 25 Jahren in Voerde. Da er im Sperrgebiet aufwuchs, konnte er uns sehr ausführlich über die Grenzanlage berichten. Diese fing damit an, dass ein Koppelzaun aufgebaut wurde. Doch mit der Zeit wurde die Grenzanlage immer komplexer, größer und strenger bewacht. Später gab es dort auch Mienen und einen Schießbefehl. Er berichtete außerdem von einem Alarmsystem, das am ersten Zaun anstelle eines Elektroschocks, bei einer Berührung ausgelöst wurde. Die Mauer und das Grenzgebiet sollten als antifaschistischer Schutzwall dienen. Ein weiterer Punkt, weshalb die Mauer errichtet wurde, war, dass sie als Sichtschutz diente. So kannten die Menschen aus der DDR nicht sehen, was in der BRD passierte, und anderes herum. Des Weiteren betonte Roland Schreyer in seiner Erzählung, dass es sich bei den Grenzsoldaten um ,,normale Menschen“ aus der Bevölkerung handelte, die sich nicht aussuchen durften, ob sie an der Grenze arbeiten wollten oder nicht. Im Falle eines Fluchtversuches mussten sie schießen und durften, falls derjenige auf eine Miene trat, nicht helfen. Außerdem wussten sie ebenfalls nicht, wo die Mienen lagen. Bis die zuständigen, die wussten, wo die Mienen lagen, eingetroffen waren, war es für die verletzten Personen meistens zu spät. Es gab jedoch die Möglichkeit, es zu überleben und zum Beispiel ,,nur“ ein Bein zu verlieren. Später wurden die Mienen jedoch durch eine Selbstschussanlage ersetz. Diese wurde später wieder abgebaut, da die DDR bankrott ging und einen Kredit der BDR annehmen wollte, welcher die Bedingung beinhaltete, die Selbstschussanlagen abzubauen. 

Zusätzlich zu seinen Erzählungen zeigte eine Animation der Grenzanlage. Er berichtete außerdem, dass die Polizei ebenfalls nicht in die nähe der Grenze durfte. Er erzählte auch, dass sich an einigen Stellen Hunde an der Grenze befanden. Diese waren so verwildert, dass sie alles und jeden aufgehalten hätten. Die Hunde waren des Weiteren die gesamte Zeit an der Grenze unter freiem Himmel. Sie haben den ganzen Tag gebellt und wenn sie nach circa drei Jahren ,,verbraucht“ waren wurden sie erschossen und ersetzt. Außerdem zeigte er uns, dass es an einigen Stellen der Grenze ein KFZ-Schutzgraben gab. 

Roland Schreyer berichtete uns außerdem von seiner Kindheit, die er als sorgenfrei und behütet beschrieb. Da sie im Sperrgebiet wohnten, konnte er im Wald spielen, ohne, dass sich seine Eltern um ihn sorgen mussten. Dies lag daran, dass aus dem Westen auf Grund der Mauer und aus dem Osten auf Grund der Kontrolle ins Sperrgebiet, niemand in diesen Wald kommen konnte, der nicht im Sperrgebiet wohnte. Einen großen Nachteil gab es jedoch. Wenn man im Sperrgebiet wohnte und zum Beispiel Freunde mit nach Hause bringen wollte, mussten diese auch einen Passierschein besitzen. Diese musste jedoch vier Wochen vorher beantragt werden. Zudem musste es einen Anlass wie einen Geburtstag oder einen Todesfall geben. Es konnte jedoch auch sein, dass dieser Antrag ohne Begründung abgelehnt wurde.  

Auf die von unseren Mitschüler/-innen gestellten Fragen antwortete er ebenfalls und berichtete uns von seinen Beweggründen zu seiner Flucht. Er arbeitet als Pädagoge mit Kindern zusammen. Diesen musste er jedoch Werte vermitteln, mit denen er nicht einverstanden war und die er nicht unterstützte. Außerdem konnte man sich seiner Aussage nach nie sicher sein, wem man wirklich vertrauen kann, da es viele s.g. Informelle Mitarbeiter der Stasi gab. Auf die Frage, ob er noch Kontakt mit alten Schulfreunden hätte, erzählte er uns von dem ersten Klassentreffen nach dem Mauerfall, bei dem ein ehemaliger Mitschüler sagte, dass er ihn sofort erschossen hätte, wenn er ihn gesehen hätte, weil Roland Schreyer sie verraten hätte.

Als 1986 die Reisebestimmungen gelockert wurden, entschied sich Roland Schreyer aus der DDR zu flüchten, denn der Weg über die Grenze war für ihn keine Option. Stattdessen reiste er 1988 unter dem Vorwand einer vorgetäuschten Hochzeit in die BRD und tauchte dort unter, doch seine Familie musste er in der DDR zurücklassen.  

Damit seine Frau keine Konsequenzen von seinem Handeln tragen muss, ging sie nach dem Ablauf seines BRD-Aufenthalt zur Polizei und meldete das er nicht wieder gekommen ist. Sein Vater jedoch verlor seinen Job an der Grenze.   

In der BRD ging Herr Schreyer dann zur Polizei, denn er wollte das seine Familie freigekauft wird. Doch die Leute dort haben ihm klar gemacht, dass nur Gefangene freigekauft werden. Also musste er sich etwas anderes überlegen.  

Er kaufte sich einen großen Hut und eine Sonnenbrille und kundschaftete von der BRD die Grenze Richtung seines Wohnorts im Sperrgebiet aus. Im Wald fiel ihm ein kleiner Bach auf, den es auch in der DDR gibt.  

Er plante eine Probeflucht und besorgte sich dafür extra einen dünnen Neopren-Anzug. Das Wasser war etwa 40-50cm tief und es lag im Stockdunkeln. Mit dem Ziel einen Weg unbemerkt in die DDR zu finden, robbte er durch den Fluss, wurde aber schon bald von einem Gitter aufgehalten. 

Es gelang ihm das Gitter zu verbiegen und so weiter voranzukommen, doch nun war er im Wald ungeschützt in der DDR. Er blieb im Wasser, um nicht aufzufallen und bemerkte glücklicherweise den Draht, der kurz über der Wasseroberfläche gespannt war. Bei Berührung hätte der Draht einen Alarm ausgelöst.  

Auf seinem Weg bis zum Sperrgebiet wurde er von drei weiteren Gittern aufgehalten, immer wenn der Tunnel auf der DDR-Seite unterbrochen wurde. Bei einem der Gitter wäre er beinahe ertrunken. Das letzte Gitter brach er bei seiner Probeflucht noch nicht auf, damit niemand Verdacht schöpfte. 

Doch nun stand er vor der nächsten Hürde: wann flüchtet man? Und wie informiert er seine Familie? Zu seinem Glück hatte ein Arbeitskollege von ihm so eben einen Passierschein für den Osten bekommen, er konnte ihn überreden seine Familie zu informieren und den Termin für die Flucht auszumachen.

Über das Telefon wurden verschlüsselte Absprachen getan, wann genau die Flucht stattfindet.

Für die Flucht suchten sie sich einen regnerischen Tag aus, Roland Schreyer bahnte sich erneut seinen Weg in die DDR und brach auch das letzte Gitter auf. Er legte sich in den Graben in der Hoffnung niemand würde ihn sehen und wartete. Er musste lange warten, da er vorher nicht offen mit seiner Frau sprechen konnte.  

Als seine Familie zum Gitter kam, war die Stimmung angespannt, noch waren sie noch nicht in der BRD. Gemeinsam flüchteten sie durch die Kanalisation in Freiheit.  

Gemeinsam gelang ihnen die gefährliche Flucht, seiner Frau, seiner Tochter und seinem Vater aus der DDR. Ein Jahr später (1989) wurden schließlich die Grenzen geöffnet.  

Der Artikel wurde von Hannah Otto und Henrike Langhoff verfasst

Bilder: © Paula Victoria Szezekocki